Qualität und Quantität – und was beides miteinander zu tun hat
Ein Gastbeitrag von BILD-Bestsellerautorin C. R. Scott
Seit meiner Jugendzeit bin ich bekennender Manga-Fan und liebe es, japanische Comics zu lesen. Vor allem Romance-Mangas haben es mir angetan und ich konnte schon zu Schulzeiten nicht genug davon kriegen. Schnell hatte ich meine Lieblingszeichner, etwa Arina Tanemura, Kanan Minami und allen voran Kaho Miyasaka. Richtige Powerfrauen, die lange Comicserien konzipierten und am laufenden Band Nachfolgewerke ablieferten. Ich habe mal die Zeit gestoppt: Für einen handelsüblichen Manga-Band mit den gängigen 192 Seiten brauche ich im Schnitt 40 Minuten, dann bin ich durch. Und das schon inklusive individuellem Zurückblättern, um gewisse Szenen erneut oder länger auf sich wirken zu lassen. An einem Abend war somit leicht eine Handvoll an Mangas verschlungen. Mindestens. Immer, wenn es von meinen Lieblingszeichnern etwas Neues gab, war ich ganz aus dem Häuschen, und wenn mal nichts Neues auf Deutsch verfügbar war, lungerte ich in einer Buchhandlung oder auf einer Convention herum, um mir die Klappentexte und Leseproben neuer Zeichner anzusehen. Außerdem gibt es so einige Serien in meinem Regal, die ich sicherlich schon das zehnte Mal komplett durchgelesen habe. Japanische Comics zu lesen, bedeutet für mich, in Welten abzutauchen, die mich entspannen lassen und mich ansprechen. Und es war noch nie etwas Verwerfliches für mich daran, Literatur – in welcher Form auch immer – derart flink zu konsumieren und anschließend, ohne zu zögern, zum nächsten Werk überzugehen. Genau das bereitet mir Freude und lenkt mich von Kummer ab. Dementsprechend konnte ich es schon früher nur gutheißen, wenn nicht wenige berühmte Mangazeichner im Akkord weiterproduzierten und zum Beispiel für die Schattierungen in den Zeichnungen Assistenten hatten, statt es selbst zu erledigen, um die knappen Deadlines einhalten zu können. Ich war süchtig nach neuem Lesestoff meiner Lieblingszeichner, nach neuem Lesestoff eines Mediums und eines Erzählstils, der mich begeistern kann.
Meine andere Leidenschaft ist das Schreiben. Schon in der Grundschule habe ich davon geträumt, Schriftstellerin zu werden, Romane zu schreiben und vom kreativen Schreiben leben zu können, um den lieben langen Tag nur das zu tun. Und so war ich in der Schule als das Mädchen bekannt, das sich zurückzog, um entweder einen Manga zu lesen oder selbst ein paar fiktive, romantische Zeilen niederzuschreiben. Zunächst versuchte ich mich an Kurzprosa, später auch an Gedichten, und schließlich landete ich bei meinem ersten Versuch, einen eigenen Roman zu verfassen.
Was dann ab 2006, im Alter von 22 Jahren, passierte, war eigentlich nur eine Frage der Zeit: Ich ließ meine beiden Leidenschaften miteinander verschmelzen. Konkret bedeutet dies, dass ich anfing, für die deutsche Manga-Szene zu schreiben. Ich verfasste zum Beispiel Comicskripte, Kurzgeschichten und Schreibworkshops für Carlsen Manga oder betreute Zeichner bei ihren Kurzcomics für die Zeitschrift Kids Zone. Und das sind wirklich nur Beispiele aus meinem Portfolio, denn insgesamt habe ich an vielen verschiedenen Projekten gearbeitet, und zwar nicht selten an mehreren gleichzeitig und mit den unterschiedlichsten Zeichnern und Redakteuren parallel zueinander. Und doch war ich bei jedem einzelnen Projekt mit Herzblut dabei, konnte die Verlage überzeugen und habe dadurch tolle Menschen kennengelernt. Das Einzige, was mich davon abhielt, langfristig in der deutschen Manga-Szene als nichtzeichnende Autorin mitzuwirken, war die Tatsache, dass das eine verdammt spezielle Tätigkeit war, für die sich kaum ein (Arbeits-)Markt bot.
Gelandet bin ich dann bei den Liebesromanen. Bei solchen, die mit den Stilelementen des Mangas nichts mehr zu tun haben. Belletristik, die von attraktiven Millionären erzählt und in den USA spielt. Seither veröffentliche ich zeitgenössische Liebesromane auf Amazon. Das mache ich in Vollzeit und bin sehr glücklich damit. Mangas begegnen mir nur noch in meiner Freizeit, wenn ich mal wieder etwas von einer meiner Lieblingszeichnerinnen lese, denn beruflich habe ich mit den japanischen Comics rein gar nichts mehr zu tun.
So dachte ich jedenfalls.
Nun ist es aber so, dass man mir im Laufe der Zeit einen Spitznamen verpasst hat: Schreibmaschine. So nennen mich nämlich einige Leser, ein paar Kollegen … und manchmal auch mein Mann. Und woran das liegt, weiß ich natürlich. Es hat mit der Parallele zu den Mangas zu tun, die sich mir dann doch wieder aufgetan hat. Mit meinem exzessiven Schreibverhalten, das meinem ungebändigten Leseverhalten sehr nahe kommt. Nämlich damit, dass ich in eineinhalb Jahren über 20 Liebesromane veröffentlicht habe.
Hä, geht das überhaupt?, mag man sich jetzt fragen.
Natürlich. Meine Werkeliste kann man sich bei Amazon, Wikipedia oder der Deutschen Nationalbibliothek unter dem Namen C. R. Scott ansehen. Möglich ist es also.
Ja, okay, aber sind diese Romane auch, na ja, gut? Was hat denn eine solche Quantität bitte noch mit Qualität oder mit Wertschätzung zu tun?
Puh. Das ist jetzt echt eine knifflige Frage. Denn, ganz ehrlich, wer entscheidet, wann etwas gut ist, wann es Qualität hat und ob es Wertschätzung erfahren hat? Klar, darüber, dass ein Roman nicht vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern nur so strotzen sollte, lässt sich nicht streiten. Aber darüber hinaus fängt die große Qualitätsfrage ganz schnell an, individuell zu werden.
Sind meine Liebesromane, die ich in recht kurzer Zeit schreibe und dann zum nächsten übergehe, gut? Wie gesagt, das ist schwierig zu beantworten, denn es gibt da draußen sicherlich Leute, die sie total doof finden. Auch das lässt sich nachlesen, am deutlichsten in den 1-Stern-Rezensionen, die so gut wie jedes Buch von mir hat. Allerdings gibt es genauso Menschen, die anspruchsvolle Literatur, an der jahrelang herumgeschraubt wurde, doof finden. Was sagt uns das also über das Verhältnis zwischen aufgewandter Zeit und Qualität aus? Richtig. Nichts. Weil es dieses Verhältnis so gesehen gar nicht gibt. Qualität bemisst sich daran, als was wir sie individuell empfinden. Und ebenso verhält es sich mit Quantität, denn ab wann eine Autorin „zu oft“ veröffentlicht, lässt sich genauso schwer verallgemeinern. Ernsthaft, es gibt Stammleser, die ein neues Werk von mir direkt am Erscheinungstag komplett durchlesen und mich zwei Wochen nach einer Veröffentlichung fragen, wann endlich der nächste Roman erscheint. Soll ich über solche Leser denken, dass sie den einzelnen Roman nicht genügend wertgeschätzt haben? Ganz sicher nicht. Gerade solch einem Verhalten merke ich doch die Begeisterung an. Die Ungeduld. Die Neugier. Die Aufmerksamkeit. Das Feuer. Eben ganz ähnlich, wie wenn ich einen Manga lese! Und mit genau einem solchen Feuer lese ich nicht nur, sondern so schreibe ich auch. Denn während dieser (kurzen) Zeit, in der ich einen Roman schreibe, bin ich – und das kann ich versichern – mit Feuer und Flamme dabei. Auf die Frage, welches von meinen eigenen Werken mein Favorit ist, pflege ich darum auch stets zu antworten: Immer das aktuelle. Das meine ich wirklich so. Und wer diese Sichtweise dem einzelnen Werk gegenüber respektlos empfindet, liest (oder schreibt) einfach nach einem anderen Prinzip. Falscher oder richtiger ist aber keine aller möglicher Herangehensweisen, wenn es um Lese- und Schreibgeschwindigkeiten geht. Jeder kann das doch frei entscheiden.
Okay, Wertschätzung ist also vorhanden. Sowohl von Lesern als auch von Autoren solcher „Massenwaren“. Jedenfalls meiner Meinung nach, so, wie ich gerade argumentiert habe. Und wie ist das jetzt mit der berüchtigten Qualität bei meinen Büchern? Nun, was ich weiß, ist, dass sich meine Romane gut verkaufen. Dass sie Leser begeistern, die daraufhin zu Stammlesern werden, gar zu Fans, die spontan früher Feierabend machen, wenn etwas Neues von mir erscheint. Aber, klar, es gibt auch diejenigen, die mal etwas von mir lesen und es nicht gut finden. So gar nicht. Ich kann also nicht ohne Weiteres und universal gültig sagen, dass meine Romane gut sind und Qualität haben. Aber eins sind meine Werke genauso wenig: schlecht, minderwertig und frei von Qualität. Denn sobald man auch nur einen einzigen Leser begeistern kann, besitzt ein Buch individuell wahrnehmbare Qualität. Eine, die nicht messbar ist, und genau das macht Kunst und Kultur doch erst so aufregend – sowohl bei ihrer Erschaffung als auch bei ihrem Konsum. Folglich sind meine Romane nicht schlecht. Und was ich außerdem behaupte, ist, dass sie nicht anders ausfallen würden, wenn ich dem einzelnen Projekt mehr Zeit widmen würde. Ich kenne mich selbst und meinen Stil mittlerweile ziemlich gut und bin mir sicher, dass auferlegte Zwangspausen mich keinen Deut besser machen würden. Ich bin bereits so gut, wie ich es sein kann. Besser werde ich nicht. Jedenfalls nicht im Sinne von mehr Begeisterung oder Authentizität. Ich werde mich im Laufe der Jahre höchstens verändern, über das einzelne Projekt hinweg. Vielleicht aber nicht einmal das.
Gut, und was soll dieser Monolog hier jetzt eigentlich bezwecken?
Ganz einfach: Gerade in Zeiten von Facebook & Co., aber auch beim gemütlichen Beisammensitzen bekomme ich immer wieder Diskussionen mit, in denen sich Menschen gegenseitig Vorwürfe machen, weil der eine für den Geschmack des anderen zu schnell schreibt oder liest. Ja, nicht nur Autoren werden angegangen, sondern auch Leser, die im Schnitt täglich ein E-Book lesen und womöglich die Kindle-Unlimited-Flatrate bei Amazon gebucht haben. Die falsche Behauptung, dass derartige Flatrates den Markt kaputtmachen, will ich jetzt mal gar nicht weiter thematisieren, sondern ich möchte auf Folgendes hinaus: Jeder sollte in dem Tempo lesen oder schreiben, welches für ihn das richtige ist. Und zwar ohne, dass infolgedessen an seiner Wertschätzung oder seinem Verständnis für Qualität gezweifelt werden muss. Und wenn er dieses Tempo zwischendurch mal ändern möchte, ist das genauso in Ordnung. Folglich wüsste ich auch nicht, warum ich mich daran stören sollte, wenn eine andere Autorin für einen Liebesroman zehn Jahre braucht oder wenn jemand einen ganzen Monat lang in ein und demselben Buch schmökert. Und sicherlich kann ein komplexer High-Fantasy-Epos mehr Schreib- oder auch Lesezeit als eine seichte Schnulze erfordern. Wer aber zu den Nörglern über das eine oder andere „Extrem“ gehört, dem kann ich nur empfehlen, seine Zeit und Energie sinnvoller einzusetzen. Und wer mal in die Schusslinie eines solchen Nörglers gerät, weil ihm doch ernsthaft an den Kopf geworfen wird, zu schnell/langsam zu lesen/schreiben, dem möchte ich einfach sagen: Lass dir nichts vorschreiben, lass dich nicht infrage stellen! Guck dir die großen Mangazeichner an, und vor allem, guck dir deren Leser an. Etwa Eiichiro Oda mit One Piece und all seinen Fans jeden Alters auf der ganzen Welt, die nach über 92 Bänden in 22 Jahren immer noch nicht genug von der Mangaserie haben. Ich persönlich finde sowieso: Wir Vielleser und -schreiber sind in bester Gesellschaft.
Zur Autorin
C. R. Scott, bürgerlich Carina Regauer, schreibt prickelnde Liebesromane mit Happy End. Sie veröffentlicht ihre Werke verlagsunabhängig bei Amazon und ist regelmäßig in den Top 50 der Kindle-Charts zu finden – und manchmal sogar auf der BILD-Bestsellerliste. 2007 wurde sie gleich mit ihrem Verlagsdebüt zweifach für den Deutschen Phantastik Preis nominiert und hat u.a. für den renommierten Carlsen Verlag geschrieben, ehe sie sich 2017 ganz dem Selfpublishing und dem Genre der Romance widmete. Sie liebt das Schreiben, ihre Familie sowie den Austausch mit Lesern, Schreiberlingen, Verlagsmenschen und Bloggern. Mehr über die Schriftstellerin gibt es auf www.crscott.de!